Zwei unabhängige Buchhandlungen sprechen über die Renaissance des gedruckten Wortes und die Herausforderungen im Umgang mit der Pandemie
Als der Jahreswechsel nicht nur den Beginn eines neuen Jahrzehnts einläutete, sondern den Auftakt zu postmodernen Goldenen Zwanzigern zu versprechen schien, wurde die weltweite Phantasie einmal mehr von den Möglichkeiten futuristischer Innovationen erfasst. Tatsächlich: Die Menschmaschine scheint mit einer erschreckend lebendigen KI Wirklichkeit geworden zu sein und dank 5G lassen sich Nachrichten und Wissen so schnell wie nie zuvor verbreiten. Zweifellos zeichnen sich bahnbrechende Fortschritte ab – zugleich aber musste die technologische Revolution 2020 die Bühne mit den wiedererstarkten Printmedien teilen. Nach fast zwei Jahrzehnten des Niedergangs verblüffte das wundersame Comeback des gedruckten Wortes die digitalen Akteure.
Bereits im März war zu erkennen, dass der Buchmarkt in Deutschland zum ersten Mal seit 2012 wieder gewachsen ist und dass sich seit 2018 – als sich über 29.9 Millionen Menschen mindestens ein Buch gekauft haben – ein stetig steigender Trend abzeichnet. Ein klares Signal dafür, dass die analoge Rebellion weit mehr als ein Nischenphänomen ist. Vom gedruckten Buch bis hin zur Vinyl-Schallplatte bestand Hoffnung für Medien, die einer allgegenwärtigen digitalen Dominanz etwas entgegensetzen. Dann wurde die Coronavirus-Pandemie in fast jeder Ecke des Planeten bittere Realität und vertiefte die Krise des Einzelhandels, die von den Einkaufsstraßen der Großstädte bis in kleine Ortschaften spürbar ist. Für inhabergeführte Läden und die Verfechter einer unabhängigen Buchkultur bedeutet diese Krise dennoch eine echte Chance. Um zu verstehen, wie sich die diesjährigen Entwicklungen auf die Wiederentdeckung des Gedruckten ausgewirkt haben, haben wir mit Ulrich Dombrowsky von der bayerischen Buchhandlung Dombrowsky und Ines Sutter von der Kinderbuchhandlung Buchstäbchen über die enge Beziehung zu ihren Kunden und die großen Herausforderungen, die dieses ganz besondere Jahr für sie bereithält, gesprochen.
Wie ist die Buchhandlung Dombrowsky entstanden? Erzählen Sie uns mehr von der Geschichte Ihres Geschäfts.
Ulrich: Die Buchhandlung wurde 1983 von mir gegründet. Ich hatte gerade meine Buchhändlerausbildung abgeschlossen und wollte mich unbedingt selbstständig machen.
In den ersten Jahren war es ein alternativer Buchladen – entsprechend der Zeit. Viel Vernetzung, grüne Ideen, Feminismus, der Kampf gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, Umweltschutz, alternative Ernährung. Diese Phase endete mit dem Fall der Mauer, der Öffnung nach Osten. Ab 1990 wurde die Buchhandlung Dombrowsky zur literarischen Buchhandlung mit Büchern für Erwachsene, Kinder und Jugendliche. Begleitend begannen damals meine Veranstaltungsaktivitäten: im Lauf von 31 Jahren kamen weit über 1000 Veranstaltungen verschiedenster Formate von uns organisiert und initiiert auf die Bühnen der Buchhandlung und der Stadt Regensburg. Seit zwei Jahren bieten wir auch regelmäßig Kinderlesungen in einem Kino an, wo die Bilder aus den Büchern auf die große Kinoleinwand projiziert werden und die Autorinnen und Autoren selbst vor Ort sind. Diese Reihe heißt "Floh im Ohr im Ostentor" – weil wir den Kindern mit diesen Samstagnachmittagen einen Floh ins Ohr setzen wollen und weil das Kino am Regensburger Ostentor liegt.
Eine Besonderheit der Buchhandlung ist das Kundenmagazin: Zusammen mit sechs ähnlich orientierten Buchhandlungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz bringen wird zweimal im Jahr das Magazin der 5+ heraus. Fast schon eine Literaturzeitung, die von uns selbst befüllt wird und die wir gratis verteilen. Mit Beiträgen von Autoren, Verlagen, Künstlern, interessanten Figuren der deutschsprachigen Gesellschaft. Und natürlich mit Rezensionen unserer literarischen Lieblinge. Zudem bringen wir einmal im Jahr gemeinsam ein kleines Büchlein mit heraus – Texte, die es bis dahin nicht gab, von renommierten Autorinnen und Autoren. Es ist eine große Ehre für uns, Teil dieser Gruppe sein zu dürfen.
Was macht die Buchhandlung so einzigartig?
Ulrich: Die Atmosphäre. Wir haben unsere Buchhandlung zu einem “Dritten Ort” gemacht. Das beginnt damit, dass man das Gefühl hat, man wäre in seinem erweiterten Wohnzimmer. Warmes Licht, Massivholzregale in Mulitplexausführung, eine Bühne, viele verschiedene Sitzgelegenheiten, extrem kompetentes Fachpersonal, Begegnungen auf Augenhöhe.
Service, Beratung, kulturelles Engagement, Kundennähe sind die Kriterien, die dazu geführt haben, dass Kulturstaatsministerin Grütters uns vier Jahre in Folge mit dem Deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichnet hat.
Wie treffen Sie Ihre Buch- und Verlagsauswahl?
Ulrich: Unser Programm ist handverlesen. Wir suchen jeden Titel einzeln aus. Von manchen Verlagen haben wir komplette Programme, aus manchen picken wir uns die Rosinen heraus, andere führen wir überhaupt nicht. Denn Qualität ist unser wichtigstes Auswahlkriterium – nicht nur inhaltlich, auch herstellerisch. Daher führen wir auch das Angebot der Büchergilde Gutenberg, der ältesten deutschen Buchgemeinschaft, die wirklich herausragende Arbeit leistet.
Kein Kriterium im Laden sind für uns irgendwelche Bestsellerlisten. Natürlich haben wir auch Bücher da, die auf diesen Listen stehen. Sie aber in einer "Bestsellerwand" anzubieten, würde überhaupt nicht unseren Vorstellungen entsprechen. Im Übrigen machen wir unsere Bestseller selbst. Indem wir Bücher lesen, uns in sie verlieben und sie daher begeistert empfehlen und verkaufen können.
Wie herausfordernd war 2020 für die Buchhandlung?
Ulrich: Für uns war es ein großartige Chance. Wir waren während der gesamten Zeit des Lockdowns – sechs Wochen – in der Buchhandlung. Wir haben Dank unserer treuen Kundschaft unseren Umsatz in dieser Zeit (und auch seit Ende des Lockdowns) steigern können. Unseren Kundinnen und Kunden war klar, dass es darauf ankommt, dass sie weiter bei uns einkaufen. Und wenn auch die Türen geschlossen bleiben mussten, hatten wir durch Fahrradkurier, Firmenauto und Paketdienste die Möglichkeit, den Menschen ihre Bücher zukommen zu lassen.
Dass wir in dieser Zeit doppelt so viel gearbeitet haben, versteht sich von selbst. Aber wenn man seine Chance bekommt, muss man sie nutzen. Wir gehen relativ entspannt ins Winterhalbjahr, denken über die Anschaffung von Luftfiltern nach, was gerade im Zusammenhang mit den Veranstaltungen natürlich wichtig wäre. Sicher wird der Dezember eine Herausforderung, weil mit den eingeschränkten Kundenzahlen natürlich kaum der Vorjahresumsatz erreicht werden kann. Aber wir setzen wieder auf unseren Lieferservice und nicht zuletzt auf unseren Onlineshop, der seit dem Lockdown durch die Decke geht.
Können Sie uns etwas über die Entstehungsgeschichte von Buchstäbchen und die Geschichte des Ladens erzählen?
Ines: Die Gründerin des BUCHSTÄBCHENs, Myriam Kunz eröffnete 2016 den ersten Laden in der Senefelderstraße, einer ruhigen Nebenstraße im Stuttgarter Westen. Von Beginn an fanden hier auch Veranstaltungen und Ausstellungen statt. Die Räumlichkeiten waren charmant, jedoch räumlich sehr begrenzt. So wurde Ende 2017 neben dem bestehenden Geschäft acht Wochen vor Weihnachten ein Pop-up Store in der Stuttgarter Innenstadt eröffnet: eine spannende Ladenfläche in Zwischennutzung in einer Passage, zusammen mit vielen jungen anderen Start-ups der Stadt.
Im Laufe des Jahres 2018 zeichnete sich die Chance auf eine deutlich größere Ladenfläche von ungefähr 120qm am Bismarckplatz, einem gut frequentierten Fußgänger-Knotenpunkt des Stadtteils West in Stuttgart ab. Mit dem Umzug im Februar 2019 verdoppelte sich die Fläche des BUCHSTÄBCHENs und das bestehende Konzept “Buchhandlung, Workshops, Galerie” konnte weiter ausgebaut werden. Vor Corona fanden im Allesraum, dem Veranstaltungsraum des BUCHSTÄBCHENs Lesungen verschiedener Autoren wie zum Beispiel Stefanie Höfler, Thorben Kuhlmann und Katja Seide statt. Parallel dazu Ausstellungen mit den Originalwerken der Illustratorinnen Anna-Katerina Jansen, Nele Palmtag und Julie Völk. Mit dem Allesraum konnten weitere Angebote ausgebaut werden, so gab es jeden zweiten Samstag eine Märchenstunde und einmal im Monat ein Treffen des Leseclubs “BUCHSTÄBCHEN-Freunde.” Bei den Treffen wird sich über Bücher ausgetauscht, einander vorgelesen und manchmal schaut auch ein Autor vorbei. Dann erleben die Kinder diese Persönlichkeiten hautnah, bekommen einen Einblick in die Arbeitsweise von Schriftstellern und – dies ist sicherlich mit das Spannendste – können mit ihnen ins Gespräch kommen.
Was macht den Buchladen so besonders?
Ines: Unterschiedliche Details tragen zu der besonderen Atmosphäre des BUCHSTÄBCHENs bei. Was als erstes beim Betreten ins Auge sticht, ist sicherlich die Einrichtung des Ladengeschäfts. Myriam, die Inhaberin, ist Gestalterin, hat als Innenarchitektin jahrelang für Hugo Boss Ladenkonzepte entwickelt und später 10 Jahre das Stuttgarter Architekturbüro VONM mitgeleitet. Dies zeigt sich bei der gesamten Gestaltung der Räumlichkeiten. Das Wichtigste, dies wird meist auch schon bei einem Blick ins Schaufenster deutlich, ist die Auswahl der Bücher und Non-Books. Der Laden beherbergt rund 4000 Titel, was an sich nichts Ungewöhnliches ist. Die Besonderheit aber ist, dass wir einen Großteil der Bücher nur einmal im Laden haben – das bedeutet eine Vielzahl an Büchern. Es finden sich wunderbar liebevoll gestaltete unbeschwerte Kinderbücher, aber auch Titel zu ernsteren Themen wie Tod, Missbrauch, Gewalt in der Familie, Flucht und Krieg. Weiterer Schwerpunkte sind die Herzensthemen Diversität, Gefühle, Naturschutz und Nachhaltigkeit für die verschiedenen Altersstufen. Neben tollen Neuerscheinungen führen wir auch ungewöhnlich viele Backlist-Titel. Die große Vielfalt an Büchern zeigt sich oft in der Verweildauer der Kunden. Viele kommen herein und möchten stöbern, sich inspirieren lassen.
Dazu gibt es seit Gründung des BUCHSTÄBCHENs ein ausgefeiltes grafisches Konzept von Swantje Hinrichsen. Neben prägnanten Details wie dem Logo, einem klaren Form- und Farbkonzept, hat sie die unverwechselbaren BUCHSTÄBCHEN-Augen entworfen. Diese sind zu dem Erkennungsmerkmal des BUCHSTÄBCHENs geworden und sind auf jeder Geschenkverpackung zu sehen.
Wie treffen Sie Ihre Buch- und Verlagsauswahl?
Ines: Gerne auf Messen, denn dort können wir uns einen Überblick verschaffen, die Bücher in die Hand nehmen und uns mit den Verlagen austauschen. Dies ist 2020 so nicht möglich. Von daher informieren wir uns in diesem Jahr verstärkt auf der Homepage der verschiedenen Verlage und natürlich auch über die Vorschauen. Entscheidend ist der Inhalt eines Buchs, die grafische Gestaltung und immer auch die Machart. Sobald uns die Bücher da sind, schauen nicht nur wir sie uns an, sondern nehmen sie mit zu unseren Kindern nach Hause und sehen sie gemeinsam an. Es ist immer spannend, mal auch überraschend, was sie dazu sagen. Anschließend besprechen wir uns im Team und dann folgt die Entscheidung, ob wir diesen Titel im Laden platzieren.
Wie herausfordernd war 2020 für Sie als Buchhändlerin?
Ines: Sehr herausfordernd und zwar auf verschiedensten Ebenen. Wir hatten im Frühjahr 2020 einen eigenen Onlineshop, der mit rund 1000 Artikeln an seiner Belastungsgrenze war. Mit diesem Shop haben wir die Zeit des Lockdowns gewuppt. Von einem Tag auf den anderen haben wir das Ladengeschäft zu einer Art Packstation umfunktioniert. Die Bestellungen, die auf unterschiedlichen Wegen hereinkamen, wurden zusammengestellt, mit Rechnung versehen und auf den Weg geschickt. Für die Kunden aus der Nachbarschaft wurde die Transportbox des Lastenrads des BUCHSTÄBCHENs umfunktioniert. Außerdem hatten wir das Glück, dass sich zwei Jugendliche aus der Nachbarschaft bereit erklärten, kleinere Lieferungen mit Rucksack und Skateboard im Stuttgarter Westen auszuliefern. Alle weiteren Bestellungen wurden vom Paketboten abgeholt. Parallel wurden alle Veranstaltungen abgesagt. Unser gerade gedruckter Veranstaltungskalender umfasste stolze 32 Seiten. Viel Arbeit für nichts.
Dazu kam, dass natürlich unsere eigenen Kinder zu Hause waren und deren Betreuung geregelt werden wollte. Mit ins Ladengeschäft konnten wir sie aus hygienischen Gründen und den Abstandsregeln nicht nehmen. Insgesamt waren es viele Bälle, die gleichzeitig in der Luft zu halten waren und es gab reichlich Abende, da wir todmüde ins Bett sanken und trotzdem kein Auge zubekamen.
Haben Sie während der Pandemie neue Wege gefunden, um mit den Lesern zu interagieren?
Ines: Ja und nein. Insgesamt waren wir mit unserem Instragramkanal und einem einfachen aber eigenen Onlineshop bereits gut aufgestellt. Es hat sich jedoch gezeigt, dass der neue Shop, der zu diesem Zeitpunkt bereits in der Planung und im Entstehen war, wirklich notwendig ist. Glücklicherweise können wir das Projekt mit dem Preisgeld, welches wir für den ersten Platz als Beste Buchhandlung beim Deutschen Buchhandlungspreis im Herbst 2019 bekommen haben, finanzieren.
Eine schöne Anekdote aus der Zeit des Lockdowns ist, dass wir durch die großen Schaufenster im Ladengeschäft mitbekommen haben, wenn Kunden glücklich die bestellten Bücher der Transportbox vor der Tür entnommen haben, so wurde ein Freudestrahlen und dann und wann auch eine Kusshand durch die Glasscheibe ausgetauscht. Wunderbar.
Entdecken Sie mit Do You Read Me? eine Welt wunderschöner Buchläden und die Persönlichkeiten, die hinter ihnen stehen Erhältlich in Deutsch und Englisch.