Die eine ideale Stadt gibt es nicht, dafür jedoch eine geteilte Idealvorstellung davon, wie sie aussehen könnte – zusammen mit SPACE10 zeigen wir inspirierende Projekte und Initiativen aus der ganzen Welt mit ehrgeizigen Visionen für unser gemeinsames Zuhause: die Stadt.
Seit Jahrhunderten entwirft die Menschheit Utopien der idealen Stadtgemeinschaft. So romantisierte die italienische Renaissance das Bild der ästhetisch harmonischen Idealstadt: Federico da Montefeltro gab das berühmte Gemälde ‘Città Ideale’ in Auftrag, das suggeriert, ein öffentlicher Raum im Zeitalter der Moderne könne nur dann ‘perfekt’ sein, wenn er von architektonischer Einheitlichkeit und vor allem eines sei: geordnet. Wie sich die Stadtbewohnerinnen und -bewohner in diesen Räumen bewegen, fühlen und verhalten, fand dagegen wenig Beachtung in einem Diskurs, der ohnehin nur von einigen wenigen geführt wurde.
Vergangene Imperien wie moderne Gesellschaften haben für den Bau prächtiger Alleen und Zitadellen sprichwörtlich Berge versetzt, doch die ideale Stadt zu bauen, ist ihnen nicht gelungen. Weder sind es Symmetrie und symbolträchtige Bauten, die einen Ort lebenswert machen noch gibt es ein globales Patentrezept dafür, wie Städte zu einem besseren Zuhause für uns Menschen werden können. Heute leben so viele Menschen wie nie zuvor in städtischen Räumen. Jede Woche ziehen weltweit über 1,5 Millionen weitere hinzu. Um die wachsende Stadtbevölkerung unterzubringen, müssen wir Flächen, die unsere Städte bisher einnehmen, in den kommenden Jahrzehnten fast verdoppeln. Das entspricht dem Bau einer Stadt der Größe von Paris– alle zwei Monate für die nächsten 30 Jahre. Hinzu kommt die immer größer werdende Kluft innerhalb der Stadtgesellschaft und eine sich beschleunigende Klimakrise, die die Versorgung der Städte bedroht. Wir befinden uns an einem Scheideweg, einer Situation, die nach der Erkundung neuer Wege verlangt.
In was für einer Stadt wollen wir eigentlich leben? Gemeinsam mit dem Kopenhagener Forschungs- und Designlabor SPACE10 hat sich gestalten auf die Suche nach Antworten auf diese Frage gemacht. Denn längst stellen Stadtplaner weltweit mit großen und kleinen Innovationen herkömmliche Vorstellungen vom Leben in der Stadt infrage und entwerfen Visionen für die Städte von morgen. Herausgekommen ist ein Buch, dass vor Optimismus sprüht und Lust macht auf einen Neuanfang, der den modernistischen Glauben an einen uniformen internationalen Stil aus Stahl und Beton hinter sich lässt.
In diesem Buch reisen wir zu 53 Metropolen in 30 Ländern und sammeln dabei Erkenntnisse von Architektinnen, Designern, Wissenschaftlerinnen, Unternehmern, Stadtplanern und Politikerinnen, wie wir Städte so gestalten können, dass sie sowohl dabei helfen, das menschliche Wohlbefinden zu steigern, als auch für das Wohl unseres Planeten zu sorgen. Dabei sollen vor allem die Bedürfnisse der Menschen in den Fokus gerückt werden, welche die Stadt ihr Zuhause nennen. Erst wenn diese Grundvoraussetzung gegeben ist, kann eine Stadt nicht nur zu einem idealen, sondern gar zu einem idyllischen Ort werden.
In The Ideal City kommen Menschen zu Wort, die unsere Städte schon heute verändern, darunter der Stadtplaner Jan Gehl, der Urban-Think Tank-Gründungspartner Alfredo Brillembourg, die pakistanische Architektin Yasmeen Lari, der dänische Visionär Bjarke Ingels, die Mobilitätspionierin Robin Chase und die Klimaaktivistin Xiye Bastida.
Um unsere Städte für die Zukunft zu wappnen, setzt das Buch auf fünf Grundprinzipien, die die Eckpfeiler des Fundaments der idealen Stadt bilden. Zu allererst Einfallsreichtum, denn den braucht es, um sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich nachhaltige Lösungen für die Städte der Zukunft zu entwickeln. Urbane Räume müssen für Menschen einladend sein, Biodiversität ermöglichen und Kreislaufsysteme in den Mittelpunkt rücken, die Ernährungs-, Baumaterial-, Wasser- und Energiekreisläufe sinnvoll schließen und Abfälle als Ressource nutzen.
Das zweite Grundprinzip ist die Sicherheit einer Stadt. Eine sichere Stadt ist auf den Klimawandel, extreme Wetterereignisse und Überschwemmungen vorbereitet. Darüber hinaus gibt sie ein Gefühl von Sicherheit, indem sie ihre Stadtbewohner schützt, Kriminalität vorbeugt und Menschen bei ihrer Resozialisierung in das Gefüge der Stadtgesellschaft begleitet. Sie ist den Menschen eine gesunde Lebensumgebung und stellt genügend Nahrung, Wasser, Wohnraum und Versorgung für alle bereit. Sie sorgt für unser geistiges und körperliches Wohlbefinden durch eine verlässliche Gesundheitsversorgung und zahlreiche Grünflächen. All das setzt den fairen Zugang zu Ressourcen voraus – unabhängig vom Alter, Geschlecht, Religion, finanzieller Lage, Herkunft, sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität oder politischen Ansichten – und damit das dritten Prinzip: Teilhabe. Eine integrative Stadt baut auf Diversität, Inklusion und Gleichberechtigung. In ihr haben alle gleichen und fairen Zugang zu städtischen Einrichtungen, Arbeit, Gesundheitsversorgung, Freizeit und Kulturangeboten sowie zu Bildung und Natur. Nicht zuletzt bietet sie genügend bezahlbaren Wohnraum für alle, stärkt die Gestaltungskraft und den Gemeinsinn ihrer Bewohner, sorgt für ein Gefühl von Gemeinschaft und bezieht sie in transparente Entscheidungsprozesse mit ein. Weltweit voranschreitende Urbanisierungsprozesse und der damit einhergehende Platzmangel in vielen Städten fordert auch das menschliche Zusammenleben heraus. Darum ist es so wichtig, dass wir als Menschen lernen, miteinander wirklich in Beziehung zu treten und gemeinschaftlich zu handeln. Gemeinsinn, das vierte Grundprinzip, ist unerlässlich für den Umgang miteinander in kommunalen Einrichtungen, an öffentlichen Orten, am Arbeitsplatz oder in den öffentlichen Verkehrsmitteln. In einer idealen Stadt werden Arbeits-, Lebens- und Transportformen gefördert, die auf die gemeinschaftliche Organisation und Gestaltung bauen. Gemeinschaftliches Handeln ermöglicht auch die Bündelung immaterieller Ressourcen, wie zum Beispiel den Austausch von Fähigkeiten, gemeinsam nutzbaren Mobilitätstechnologien oder die Entstehung von Initiativen, die soziale Beziehungen fördern.
Der letzte noch fehlende Schlussstein beim Bau der idealen Stadt ist die Frage, was sie liebenswert und liebenswürdig macht. Was Menschen global gesehen in die Städte zieht, ist die Vielzahl an Arbeitsmöglichkeiten und ein besserer Lebensstandard, aber das Ziel in der Gestaltung urbaner Räume der Zukunft sollte es auch sein, dass sich die Menschen gerne in ihrer Stadt aufhalten und bewegen. Eine solche Stadt ist in ihrer Struktur so an unsere Bedürfnisse angepasst, dass alles gut zu Fuß zu erreichen ist. Sie macht uns neugierig, lässt uns immer wieder Neues entdecken und bringt uns zum Staunen. Sie bietet Raum für ein lebendiges öffentliches Leben, Kunst und Kultur, Inspiration, Lernen und Entspannung.
Seit Jahrhunderten entwerfen Künstler, Philosophen und Politiker ihre Utopien einer idealen Stadt, – doch allzu lange haben sich ihre Visionen nicht weiterentwickelt. Die Klimakrise, zu der unsere Städte maßgeblich beigetragen haben, stellt uns heute vor neue Herausforderungen. „Utopia ist im wahrsten Sinne des Wortes die Erfindung eines Ortes, so perfekt, dass er in der Realität gar nicht existieren kann. Aber genau darum geht es. Natürlich kann man eine Utopie nicht in einem einzigen Augenblick verwirklichen. Was wir jedoch tun können, ist dafür zu sorgen, dass jedes Mal, wenn wir als Architekten dazu aufgefordert werden, ein Gebäude oder ein urbanes Areal zu entwerfen, diesen kleinen Teil der Welt so zu gestalten, wie wir uns die Welt wünschen würden,” sagt Bjarke Ingels im Buch. Der Menschheit mag es nie gelingen, die eine ideale Stadt zu bauen. Stattdessen lebt diese Vision kollektiv in allen Städten und in einer Vielzahl von sozialen, geografischen und wirtschaftlichen Kontexten. Die ideale Stadt ist nicht eine, sie ist viele. Sie ist so vielfältig wie wir, die wir in ihr leben. Auf den ersten Blick scheinen die im Buch vorgestellten Projekte ganz unterschiedliche Ansätze zu haben, doch sie alle sind vereint durch ähnliche Grundwerte. Sie tragen zu einem Gefühl von Gemeinschaft bei, ermöglichen Teilhabe für alle, sie mache unsere Städte nachhaltiger, sicherer, lebenswerter und liebenswürdiger. Sie bieten mit Kreativität, Experimentierfreude und Optimismus Lösungen für die drängenden Probleme unserer Zeit.
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