Journalistin Kari Molvar führt uns in The New Beauty ein und spürt dem aktuellen Zusammenspiel zwischen Schönheitspraktiken, Kultur und Mode nach
„Schönheit ist ohne Grund. Sie ist.” schrieb einst die amerikanische Dichterin Emily Dickinson. Seit frühester Zeit fasziniert Schönheit die Menschen und verdreht ihnen den Kopf. Warum gibt es Schönheit, was definiert sie und weshalb spielt sie eine wichtige Rolle? In den Naturwissenschaften ging die Evolutionsbiologie lange davon aus, dass die äußere Erscheinung von Tieren mit dem Prozess der natürlichen Selektion zusammenhängt. Extravagante, bunt gefärbte Federn würden für ein gesundes Immunsystem stehen und gut ausgeprägte Muskeln auf gewaltige Kraft hinweisen, nützlich im Kampf gegen Fressfeinde. In jüngster Zeit jedoch, gehen einige Biologinnen und Biologen davon aus, dass Schönheit nicht immer mit dem Überleben zusammenhängen muss. Schönheit könne stattdessen um ihrer selbst Willen geschätzt werden. Weibliche Laubenvögel entschieden sich für einen Partner mit scharlachroten Federn einfach aus dem Grund, weil sie rotes Gefieder schön finden – wen kümmert es, ob dieses Merkmal auf eine gute Genetik oder einen geeigneten Partner hinweist? Mit anderen Worten: Schönheit hat eine ganz eigene verführerische Kraft.
In der Antike und im Mittelalter waren die Menschen von der Schönheit so fasziniert, dass sie davon überzeugt waren, sie könne nicht zufällig entstehen oder durch abstrakte Kräfte geformt werden. Schönheit musste erklärbar und mit Zahlen quantifiziert, durch Regeln definiert und mit Gleichungen bewiesen werden können. Sie bauten Gebäude und malten Kunstwerke, die sich am sogenannten Goldenen Schnitt orientierten, der die idealen Proportionen des Schönen repräsentierte und sich in vielen Formen zeigt – in einem prächtigen Gebäude sowie am menschlichen Körper. Frustriert und besessen von der Schönheit hegten die alten Gelehrten den sehnlichen Wunsch, die Geheimnisse wahrer Schönheit zu dechiffrieren und ihre Anziehungskraft erklärbar zu machen.
Doch Schönheit ist flüchtig, das äußerliche Erscheinungsbild vergänglich. Durch die Kräfte der Natur heben sich Gebäude, bröckeln und stürzen ein; Ölgemälde verlieren ihren Glanz, verblassen durch das unbarmherzige Strahlen des Sonnenlichts. Die Haut altert mit den Jahren, das Haar ergraut oder fällt schließlich aus.
Die Formel universeller Schönheit zu entschlüsseln – ihre flüchtige Essenz in eine zeitlose Definition zu destillieren – ist schlicht nicht möglich. Antike Kulturen suchten dennoch nach dem Schlüssel. Das Bedürfnis, bestimmte Merkmale zu idealisieren, schuf einige der ersten Schönheitsstandards, die mitunter bis heute unsere ästhetischen Vorstellungen prägen. Diese Merkmale veränderten sich allmählich im Laufe der Zeit, galten jedoch jahrhundertelang als Zeichen für Fruchtbarkeit oder für die Werte, die die Gesellschaft für wichtig oder notwendig hielt: „Die Kieferpartie sollte definiert sein, die Wangenknochen hoch und spitz. Die Nase kantig und die Lippen voll, aber nicht zu voll. Die Augen groß und leuchtend und idealerweise blau oder grün. Die Haare lang, dicht und wallend – vorzugsweise blond. Symmetrie galt als begehrenswert und Jugend selbstverständlich auch,” schreibt Journalistin Robin Givhan in einem Artikel über die Evolution der Schönheit bei National Geographic. Diese Schönheitsstandards haben sich über Generationen hinweg gehalten.
Bis jetzt. Unsere Schönheitsideale haben sich in den letzten 10 Jahren schneller gewandelt als in den letzten 100 Jahren, sagt Givhan. Das ist schockierend schnell. Veränderung ist oft schmerzhaft langsam, doch hier ist eine Revolution im Gange. Ein dynamisches Zusammenspiel von moderner Technologie und engagierten Aktivismus, der alte Stereotype infrage stellt, hat den Schönheitsdiskurs und, das was wir als schön empfinden, auf der ganzen Welt radikal verändert. Mit nur einem Klick erhalten wir Zugang zu all den Möglichkeiten, wie man einen Eyeliner auftragen, das Haar in eine imposante Hochsteckfrisur verwandeln oder surrealistische Skulpturen auf seine Fingernägel zaubern kann.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts versuchte Kosmetikwerbung den Menschen zu vermitteln, wie unbeliebt man sich mit dem eigenen Körpergeruch bei seinen Mitmenschen machen kann. Seit den 1950ern gehörte für Frauen die Haarentfernung zum festen Bestandteil der Körperhygiene (obwohl das Rasieren an sich nicht zur Reinigung des Körpers beiträgt). Schönheit hängt heute nicht mehr von Konformität und Anpassung an starre, von der Gesellschaft vorgegebenen Ideale ab, sondern ist ein Mittel, Einzigartigkeit und die eigene Identität zu unterstreichen. Eine neue Offenheit sorgt dafür, dass lange totgeschwiegene Tabus heute Teil des öffentlichen Diskurses sind: von Körperbehaarung und -geruch, über die Realität des Alterns, bis zu Hormonen und dem Einfluss, den sie im Laufe des Lebens von der Pubertät bis zur Menopause auf den Körper haben. Make-up hat sich dabei längst weit über das Retouchieren vermeintlicher Makel hinaus entwickelt und ist zu einem Freiraum geworden, um die eigene Individualität und Kreativität zu erkunden. Beim Auftragen des Lippenstifts geht es nun vielmehr um das eigene Gefühl und Selbstbewusstsein, als darum, den Erwartungen anderer zu entsprechen.
Auch wenn sich unsere Schönheitsideale gewandelt haben, sie bestehen weiterhin in anderer Form. Die Obsession der Generation Z mit vollen Augenbrauen, noch volleren Lippen und markanten Wangen zeigt, wie wir trotz neu gewonnener Gestaltungsfreiheiten ironischerweise manchmal am Ende alle gleich aussehen. Oder zumindest lässt die Illusion, die wir online erschaffen haben, uns das glauben. Wenn es nur einen Filter braucht, der die Wangen hervorhebt und die Haut weichzeichnet, kann der Wunsch den eigene Körper zu modellieren jedoch auch schnell zu einem ungesunden Extrem werden. Was aber sagt es über unsere Kultur aus, wenn wir ständig unser Äußeres verändern wollen – und welche Gründe haben wir dafür?
Die Geschichte zeigt, dass gesellschaftlich konstruierte Vorstellungen und Anforderungen schon immer in den Körper eingeschrieben wurden. In antiken Kulturen dienten Markierungen und Verzierungen am Körper dazu, den Rang oder sozialen Status einer Person anzuzeigen, auch heute noch sind Piercings, Tattoos und Henna von großer Bedeutung. Künstlerinnen und Künstler haben innovative und zukunftsweisende Wege gefunden die Authentizität dieser Tradition zu bewahren und gleichzeitig gesellschaftlich relevante Themen ihrer Zeit durch den Akt der physischen Veränderung des Körpers aufzugreifen. In ähnlicher Weise spielt das Haar in afrikanischen Ritualen als Verbindung zur spirituellen Welt eine wichtige Rolle. Den Wert dieser Traditionen anzuerkennen, scheint heutzutage wichtiger denn je. Im Diskurs um Rassismus und Diskriminierung ist das Thema Haare schon lange politisch aufgeladen. In dieser Hinsicht spiegelt Schönheit umfassende gesellschaftliche Themen wider und kann – optimistisch betrachtet – ein Mittel für Veränderung sein.
Zugleich ist Schönheit Selbstfürsorge – sie geht über die Oberfläche hinaus und ist eng mit unserem emotionalen Befinden verbunden. In einer sich immer schneller drehenden Welt wirken einfache Rituale wie die Gesichtsreinigung oder das Auftragen einer Maske wohltuend für die Seele. Der Blick nach innen hat ein neues Bewusstseins hervorgebracht, das den Auswirkungen unseres Handelns mehr Aufmerksamkeit schenkt und nach nachhaltigeren Praktiken sucht. Die Schönheitsindustrie ist notorisch verschwenderisch und produziert Unmengen von Plastik und Wegwerfprodukten – eine junge Generation besinnt sich jedoch auf traditionelle Praktiken und geht zugleich neue Wege in der Naturkosmetik.
Bei unserer Vorstellung von Schönheit wird es zukünftig auch um die Frage von demokratischer Teilhabe gehen, die Geschlechterstereotype infrage stellt, Tabus dekonstruiert und Raum schafft für die Vielfältigkeit und den Facettenreichtum von Schönheit. Auch wenn die Wellness- und Achtsamkeits-Kultur in der Vergangenheit oft homogen war, findet auch hier ein Wandel statt. Von Kosmetikstudios, die sich auf die Hautpflege für Menschen mit dunkler Haut spezialisieren, bis zu Spas, die auch für Menschen mit Behinderung konzipiert sind. Trotz umfassender Transformationen betont Givhan: “Wir leben heute in einer besseren Welt als noch vor einer Generation, aber wir sind noch nicht in der Utopie angekommen." Nicht alle Probleme sind gelöst, doch die Arbeit an einer Veränderung hat begonnen.
Auch in schweren Momenten des Lebens kann Schönheit Kraft geben und Trost spenden. Schönheitspraktiken begleiten uns das ganze Leben lang und schaffen Erinnerungen, die uns miteinander verbinden. Schönheit ist der pudrige Geruch von Babyhaut nach dem abendlichen Bad, das widerspenstige Haar eines Teenagers, das jugendliche Gesicht, das durch Eyeliner und Mascara zum ersten Mal erwachsen scheint, das Runzeln tief sitzender Lachfalten und die Weichheit von grauem Haar. Äußerlichkeiten werden sich immer ändern, aber Schönheit verschwindet nicht. Unsere Körper erzählen eine Geschichte darüber, wer wir sind – mit einem Blick in den Spiegel können wir ihr direkt in die Augen schauen.
Werft mit The New Beauty einen Blick in das Universum der Schönheit von heute.